Wir schreiben das Jahr 2014: Ein scharfer Schrei ertönt aus den Lautsprechern meines Laptops. »Ace!«, brüllt die junge Punkerin ins Mikrofon, »lasst uns die Disco starten.« Sie trägt eine Lederhose mit verkehrt herum geschlossenen Hosenträgern und singt über heiße Jungs mit ähnlichem Kleidungsstil. Die Band spielt schnell, ihr Sound ist klar, knapp und eingängig. Was ist das und wo kommt es her? Hans-A-Plast ist es, direkt aus Hannover. Dank des Internets kann ich das alles hier und jetzt aufnehmen. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Wir schreiben das Jahr 1978, 15 Jahre vor meiner Geburt. 56 Jahre zuvor kamen in Deutschland die ersten selbsthaftenden Pflaster auf den Markt. Eine Viererbande: Zwei junge Frauen, zwei junge Männer – Bettina, Renate, Jens und Micha – gründen eine Gruppe und benennen sich nach den besagten Pflastern (Hansaplast). Bald kleben ihre Fans Pflaster auf ihre Lederjacken. Bettina sucht derweil jemanden, der den Leadgesang übernimmt, damit sie sich in der Band auf das Schlagzeug konzentrieren kann. Zurück von einem Schüleraustausch in den USA, wo sie gelernt hat, Langeweile mit Whiskey, LSD und Patti Smith zu betäuben, steht Annettes Gesangstalent einem Mädchenchor zur Verfügung, als dieser sie entdeckt. In den zwei Jahren seit ihrem USA-Aufenthalt jobbt sie sich durch Amsterdam und London, wo der Punk immer lauter wird. Sie sieht Elvis Costello, Ian Dury und UB40 im Vortex, aber es sind die Slits und Poly Styrene mit ihrem X-Ray Spex, die eine Erleuchtung auslösen. Jetzt weiß sie, was sie tun will, oder genauer gesagt, was sie tun muss. Während ihres Aufenthalts in London beschwört eine Lehrerin aus Braunschweig Annette, nach Hause zurückzukehren, um ihr Studium abzuschließen und ihr Abitur zu machen. Überschattet von der Angst vor einem Atomkrieg und einer neuen Generation der RAF schließt Annette ihr Abitur an der IGS Braunschweig zwar nie ab, gründet dort aber ihre erste Band: Slime (nicht die später bekannteren Slime) mischen eigene Songs mit Coverversionen der Sex Pistols. Annette nimmt »Man of Stone« (einen von ihnen) mit, als sie sich Hans-A-Plast anschließt, der Band, die sie im November 1978 beim ersten No Fun Festival kennenlernt, bei dem Hans-A-Plast und Slime zusammen spielen. Bettina fragt Annette, ob sie für sie singen möchte – ja, das möchte sie. Schneller Vorlauf zum Probebunker, wo Bettina Annette die Texte zu drei Songs gibt: »Lederhosentyp«, »Rock ’n’ Roll Freitag« und »Hau ab du stinkst«. Der kreative Funke springt über und aus den 3 Songs werden bald 13. Es folgen einige Festivals, darunter die Veranstaltung »Into The Future« im Januar 1979 in der Hamburger Markthalle. Im September desselben Jahres nimmt die Band ihr gleichnamiges Debütalbum in nur 4 Tagen im Toncooperative-Studio in Hannover auf, tatkräftig unterstützt von Rainer bei seiner ersten Begegnung mit Punk. In Anlehnung an ihr Idol Poly Styrene fügt Annette dem Mix ein wunderbar unstimmiges Altsaxophon hinzu: Stücke wie »Für ’ne Frau« sprühen vor Charisma und Chuzpe und schlagen, wie nicht anders zu erwarten, allen Erwartungen an „gute Mädchen“ ins Gesicht. Annette, Bettina und Renate zieren bald das Cover des Sounds-Magazins mit der Schlagzeile: »Frauen machen Musik« – Schock, Horror! Toncooperative bietet der Band auch eine Labelbasis und veröffentlicht »Hans-A-Plast« auf dem Lava-Label des Studios. 1.000 Exemplare bedeuteten die Gewinnschwelle, aber das Album verkaufte sich noch im Laufe des Jahres zehnmal so oft. Obwohl größere Labels anklopften, entschied sich die Gruppe, ihre eigene Plattenfirma unter dem Namen No Fun zu gründen. Die meisten Alben haben sie selbst verpackt und verschickt: »Klebe Tütchen, klebe Tütchen...« Die 2. Auflage des No Fun Festivals zieht 2.000 Zuschauer an, auch ohne Kondensators, Blitzkrieg oder die Fucks, die absagen, weil Hans-A-Plast ihnen zu erfolgreich geworden ist. Aber keine Zeit zum Trübsalblasen, alles geht so schnell. Rockpalast zeichnet einen legendären Auftritt 1980 für eine Fernsehsendung auf. Wenn ich ihn 34 Jahre später höre, wird er mein Leben verändern.
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